Straße von Gibraltar
- Dezember 2020
Die Entscheidung zur Umkehr wurde schnell umgesetzt, innerhalb von Stunden waren wir unterwegs, ein günstiger Südwestwind trieb uns voran. Als ich mich noch einmal nach Teneriffa umdrehte, sah ich den Mount Teide aus den Wolken über der Insel hervorlugen, als wolle er uns auf Wiedersehen sagen.
An Bord kehrten wir schnell wieder zu unserer gewohnten Routine zurück, allerdings waren wir nur noch drei, da Michalis beschlossen hatte, auf den Kanaren zu bleiben, wo seine Verlobte und ihre Familie leben. Wir einigten uns auf vierstündige Wachen, wie üblich hatte ich den frühen Morgen und Abend (0400-0800) und 1600-2000), das erklärt die vielen Sonnenauf- und -untergangsfotos.
Auf meiner ersten Wache segelten wir über diesen Tiefseenberg, dessen Name mich schon auf dem Hinweg rätseln hatte lassen. Dacia war der Name einer früheren römischen Kolonie aus dem 2. Jahrhundert n.Chr. auf dem Gebiet des heutigen Rumäniens. Auch ein beliebter SUV ist danach benannt, aber warum auch dieser Berg im Nordatlantik.
Die Nachtwachen auf einer langen Passage kann man sich gelegentlich mit einem kleinen Plausch mit dem Funkoffizier eines vorbeifahrenden Schiffs vertreiben. Auf dieser Fahrt rief ich die Velsheda, eine berühmte 40-Meter-Segelyacht, deren klassische Linien denen ihres Vorfahren nachempfunden sind. Der Funker erzählte mir, sie sei auf dem Weg in die Karibik und war erstaunt, dass wir in die Gegenrichtung fuhren. Ich sagte nichts dazu.
Mein nächster Gesprächsversuch diente nicht einer netten Unterhaltung, sondern der Warnung vor einer möglichen Kollision. Das AIS beschrieben die Zylkene als 17 Meter langes Segelboot auf dem Weg zu den Kanaren. Sie zeigte zwei grüne Lichter, eines im Masttop und eines am Bug, und motorte in entgegengesetzter Richtung zu uns. Wir waren nun aber eingeklemmt zwischen dem Tanker Vigor, der für uns seinen Kurs geändert hatte, und der Zylkene, also rief ich das Boot mehrfach via VHF, aber es kam keine Antwort. Sie fuhr schließlich 200 Meter von uns entfernt vorbei.
Die Sicherheit auf den Meeren hat sich durch die Einführung von AIS (Automatic Identification System) stark erhöht. Jedes Schiff, egal ob Frachtschiff oder Freizeitboot, überträgt automatisch seinen Namen, seine Position, Geschwindigkeit, Kurs etc. und das System schätzt auch die Gefahr ein, sollten beide Fahrzeuge ihren Kurs fortsetzen. All diese Informationen werden angezeigt, wenn man das gut erkennbare Dreieck auf dem Kartenplotter anklickt (schwarz am Tag, weiß bei Nacht). Seit der Einführung des Systems kann ich mich nur an eine Handvoll Male erinnern, die ich ein Schiff anrufen und um eine Kursänderung bitten musste. Als Segelfahrzeug haben wir auch auf hoher See Wegerecht.
Am Morgen des vierten Tages hatten wir 500 Meilen geschafft und der wolkige Sonnenaufgang schien ein Zeichen zu sein, dass unser Glück sich dem Ende zuneigte. Der Wind blies aber weiter aus einer günstigen Richtung (NW), doch er wurde stärker, als mir lieb war. Wie auch auf dem Weg nach Süden erwischte uns alle 15 bis 20 Minuten eine heftige Sturmbö mit Windgeschwindigkeiten zwischen 35 und 50 Knoten. Egal wie viel Tuch wir wegnahmen, der Wind wurde stärker, und wir immer schneller.
… und was wir für eine Heckwelle hatten!
Inzwischen hatten wir das Groß im dritten Reff und die Fock auf Taschentuchgröße reduziert, aber es war immer noch zu viel. Wir beschlossen, Geschwindigkeit rauszunehmen, indem wir so weit wie möglich anluvten, und den Sturm abzureiten, wohin er uns treiben würde. Schließlich segelten wir mit eingerollter Fock und offenem Groß. Es funktionierte und einmal mehr war ich fasziniert (und erleichtert) – ebenso wie Conor und Taylor – von der robusten Konstruktion und Seetüchtigkeit der Aventura. Danke, Outremer!
Taylor bindet das dritte Reff ein, während Conor die Aventura im Wind hält, während ich die Reffleinen und die Kamera bediente.
Wir segelten die Nacht über so weiter und am Morgen des fünften Tages bewegte sich der Wind immer noch im Zwanzigerbereich, aber wir hatten nur noch 60 Meilen bis zur Straße von Gibraltar vor uns und hofften auch milderes Wetter im Mittelmeer.
Landfall 1530 UTC. Kap Spartel, der nordwestlichste Punkt Afrikas, 750 Meilen von Teneriffa entfernt, genau fünf Tage nachdem wir die Insel verlassen hatten. Wir beeilten uns, um die günstige Tide durch die Straße zu erwischen und am Abend im Mittelmeer zu sein. Ostwinde waren vorhergesagt, also beschlossen wir, nicht in Gibraltar zu halten.
Zum zehnten Mal passierte ich diese Landmarke seit meiner Premiere mit der Aventura I 1975. Wir hatten Halt gemacht, da Doina und Ivan gerne die Berberaffen-Kolonie, die auf dem Berg lebt, sehen wollten. So beschreibt Doina den Ausflug in ihrem Buch „Child of the Sea“:
… Ein paar Affen pirschten sich an uns heran. Einer griff in Mamas Tasche und schnappte sich eine Touristenbroschüre. Er rannte davon und setzte sich auf eine Mauer.
„Will er sie lesen?“ Mama lachte.
„Schau, Mama. Er frisst sie!“
Ein weiterer Affe sprang plötzlich auf Papas Schulter.
„Das fotografiere ich.“ Mama nahm die Kamera.
Ivan schnappte nach Luft. Ein großer feuchter Fleck breitete sich auf Papas Rücken auf.
„Er pinkelt!“
Der Affe sprang hinüber auf die Mauer und starrte uns an, während Papa seine Jacke inspizierte. Es war seine einzige, die er nur zu besonderen Anlässen anzog.
„Er muss gewusst haben, dass ich kein Brite bin.“
Absolut, und seither meide ich diese Barbaren.